Die Geschichte von Appolonia Margarete Steiff ist so aussergewöhnlich wie beeindruckend: Im Jahr 1847 als eines von vier Kindern im schwäbischen Giengen geboren, baut sie als Erwachsene einen Spielwarenkonzern von Weltrang auf. Dafür muss sie sich nicht nur gegen ihre Familie durchsetzen und in einer männerdominierten Wirtschaftswelt behaupten – seit einer Erkrankung an Kinderlähmung im Alter von 18 Monaten lebt sie zudem mit einer schweren Behinderung: Margarete kann ihre Beine und den rechten Arm nicht bewegen und sitzt zeitlebens im Rollstuhl.
Bereits in der Schule ist Margarete neugierig, fehlt nie und bringt überdurchschnittliche Leistungen. Ausserdem ist sie beliebt und versteht es, die Leute um sich zu scharen. Als sie später die Nähschule besuchen möchte, ist ihre Familie zunächst dagegen: Die Eltern befürchten einen Misserfolg und die älteren Schwestern Peinlichkeiten und Mühen. Doch Margarete setzt sich durch und mit viel Ehrgeiz – und schliesslich auch der Unterstützung der Schwestern – wird sie zur passionierten Schneiderin: Mit ihnen zusammen kauft sie die erste Nähmaschine von Giengen und eröffnet eine Damenschneiderei.
Obwohl es Margarete schwerfällt, die Nähmaschine anzutreiben, gibt sie nicht auf.
Sie ist inzwischen 17 Jahre alt und hat sie sich mit ihrer Krankheit abgefunden. Mit moralischer und finanzieller Unterstützung eines ihr bekannten Filzfabrikanten wird die Schneiderei 1877 dann zum Filzkonfektionsgeschäft. Das Unternehmen läuft und Margarete kann weitere Personen einstellen und investieren. Das Mädchen mit der scheinbar hoffnungslosen Zukunft ist zur erfolgreichen Geschäftsfrau avanciert.
Ende 1879 entdeckt sie in der Zeitschrift «Modenwelt» einen kleinen Stoffelefanten. Die Idee gefällt ihr und sie fertigt aus Filz und Wolle fünf «Elefäntle» als Nadelkissen an. Vor allem bei den Kindern ist die Begeisterung riesig. Sie möchten die weichen Tiere am liebsten nicht mehr loslassen. Bald beginnt Margarete Stofftiere auf Vorrat zu produzieren und in ihren Firmenbüchern findet sich folgende Position: «Kinderspielwaren aus Filz: unverwüstlich und ungefährlich.»
In diesen Jahren wird Margaretes Bruder Fritz – er ist Bauwerksmeister in Giengen – ein wichtiger Begleiter: Er bewegt seine inzwischen über 40-jährige Schwester nicht nur dazu, aus dem elterlichen Haus auszuziehen, er baut auch ihr erstes Firmengebäude. Im Erdgeschoss ist ein Laden untergebracht, im ersten Stock eine behindertengerechte Wohnung. 1889 lernt Margarete dann Johanna Röck kennen und die beiden Frauen ziehen zusammen. Johanna wird Margarete die nächsten 20 Jahre bis zu ihrem Tod zur Seite stehen.
Die Spielzeugmanufaktur entwickelt sich stetig weiter und bald nimmt Margarete Affen, Esel, Pferde, Kamele, Schweine, Mäuse, Hunde, Katzen, Hasen und Giraffen ins Programm auf.
Die Stofftiere sind ein enormer Erfolg, schliesslich gehören sie zu den ersten weichen Spielzeugen im Kinderzimmer. 1894 beträgt der Jahresumsatz der Firma bereits 90 000 Mark. Da die Konkurrenz immer wieder versucht, die Produkte nachzuahmen, kommt ab 1904 der weltberühmte Knopf im Ohr als Markenzeichen zum Einsatz.
Mit dem Eintritt von Richard Steiff, dem zweitältesten Sohn von Bruder Fritz, wird die Spielwarenfabrik vollends zum Familienunternehmen. Auch seine fünf Brüder werden einer nach dem anderen eingestellt. Diese familiären Bindungen und eine warmherzige Atmosphäre in der Firma sind Margarete wichtig. Auch die Sozialleistungen sind vorbildlich für die damalige Zeit: Mitarbeiter:innen erhalten etwa Essensgutscheine für die umliegenden Gaststätten.
Es dauert nicht lange, bis wieder an einen Neubau gedacht werden muss. Diesmal schwebt Richard eine Konstruktion aus Eisen und Glas vor, die ihrer Zeit weit voraus ist: In der Folge entsteht das erste von zwei Glashäusern, die noch heute von der Firma benutzt werden und unter Denkmalschutz stehen. Aber nicht nur die neuartigen Bauten erregen Aufsehen, auch die Motorrad-Spritztouren der unterdessen 56-jährigen Margarete mit ihren Neffen sind weitherum bekannt.
Die Geschichte der steiffschen Teddybären nimmt im Jahr 1903 ihren Anfang: Richard Steiff präsentiert den von ihm entwickelten Bären «PG 55» an der Leipziger Spielzeugmesse. Zuerst will ihn niemand kaufen, doch in letzter Minute taucht ein Amerikaner auf und ersteht die gesamte Kollektion von 3000 Stück. Mit dem Folgemodell, dem «PB 35», tritt der Teddybär dann seinen Siegeszug diesseits und jenseits des Ozeans an.
Bereits im Jahr 1907, zwei Jahre bevor Margarete mit 62 an einer Lungenentzündung stirbt, ist die kleine, schwäbische Manufaktur zur Weltfirma geworden: 400 Mitarbeiter:innen und 1800 Heimarbeiter:innen stellen neben anderen Artikeln fast eine Million Teddybären her. Dabei achtet Margarete bei jedem einzelnen auf einwandfreie Qualität: Denn – so ihre Worte – «für Kinder ist nur das Beste gut genug!»